Weltweit kommen in der Fertigungsindustrie die innovativen End-of-Line-Prüfsysteme der ZF Test Systems zum Einsatz. Diese Systeme überprüfen Teile im Sekundentakt und generieren dabei enorme Mengen an Prüfdaten im Big-Data-Bereich. Aus diesen umfangreichen Datensätzen lassen sich wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Durch frühzeitige Identifizierung von Ausreißern und Trends in den Fertigungsprozessen können potenzielle Probleme proaktiv adressiert werden. Dadurch lassen sich beträchtliche Kosteneinsparungen realisieren und ein hohes Qualitätsniveau in der Produktion gewährleisten. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Daten mit dem erforderlichen Fachwissen und den geeigneten Analysewerkzeugen erhoben und ausgewertet werden: ZF Test Systems setzt hierbei auf das gemeinsam mit der Meta-Level Software AG entwickelte Messdaten-Analyse-Tool "TATOO 4" sowie auf Advanced Analytics. Ihre KI-Lösung "ZF TS wAIveGuard" steht kurz vor dem Rollout. Eine spannende Entwicklung, die wir im Folgenden näher beleuchten wollen.
Bevor bei der ZF Friedrichshafen AG ein Produkt die Fertigung verlässt, entscheidet sich am End-of-Line-Prüfstand, ob die Teile „OK“ sind und zum Kunden geliefert werden können oder „NOK“ (nicht okay) sind. Um die geringe Anzahl an NOK-Teilen zu identifizieren, werden am Prüfstand im Sekunden-Takt Prüfdaten erhoben. End-of-Line Prüfstände erzeugen bis zu 30.000 Datensätze pro Tag.
Um die Daten mit KI-Algorithmen auswerten zu können, müssen sie erst zentral zusammengeführt, aufbereitet, standardisiert und verfügbar gemacht werden. Viele Analytics-Projekte scheitern bereits an dieser Aufgabe. Daher hat ZF ein eigenes Produkt entwickelt und als langjährigen Entwicklungspartner die Meta-Level Software AG mit ins Boot genommen. Entstanden ist das Messdaten-Analyse-Tool "TATOO 4", das von ZF und Meta-Level kontinuierlich weiterentwickelt und vermarktet wird.
"TATOO 4" beherrscht den Umgang mit Daten im Big-Data-Bereich. Dabei ist eine zweiteilige Speicherung möglich: während die Messwerte in einer SQL-Datenbank gespeichert werden, werden die dazugehörigen Dateien, die mit jedem Testlauf verknüpft sind, in einem Fileserver abgelegt. Auch diese Dateien (Rohdaten) wie bspw. Schwingungsdaten, Temperaturen etc. oder auch Prüfprotokolle, Bilder oder Videos, kann man über die "TATOO 4"-Oberfläche ansehen.
Die gespeicherten Messdaten können in einem Streudiagramm visualisiert werden, welches einen einfachen und schnellen Überblick ermöglicht. Tests, die aus verschiedenen Quellen stammen, können direkt in der "TATOO 4"-Anwendung analysiert werden, auch über viele Rechner und Standorte hinweg. Werden Auffälligkeiten in den Messdaten entdeckt, können direkt aus "TATOO" die Rohdaten des zugehörigen Prüflaufs aufgerufen und in weiteren, darauf spezialisierten Analysetools ausgewertet werden.
Es ist außerdem möglich, auf die Daten in der Datenbank zuzugreifen, um sie für andere Programme (wie z. B. Power BI) sowie weitergehende, KI-basierte Analysen zu verwenden.
Wie das Potenzial der Daten konkret mit KI genutzt werden kann, zeigt ein Beispiel an End-of-Line-Prüfständen im ZF-Werk in Saarbrücken. ZF Test Systems und Experten des ZF AI Lab Saarbrücken haben gemeinsam einen KI-basierten Algorithmus entwickelt, mit dem sich das NVH-Verhalten (Noise, Vibration, Harshness) von Getrieben und E-Maschinen digital diagnostizieren lässt. Inbesondere bei Komponenten mit hohen Rotationsgeschwindigkeiten oder solchen, die enorme Kräfte übertragen, können Unregelmäßigkeiten im NVH-Verhalten auf spätere Schäden hindeuten. Sonargramme geben Aufschluss, welche Frequenzen bei welchen Drehzahlen angeregt werden. Dr. Nicolas Thewes, Chief AI Engineer bei ZF, und seine Kollegen haben Algorithmen entwickelt, die aus Abertausenden von Sonargrammen OK-getesteter Getriebe eine pixelgenaue „Karte“ erstellen, die als Referenz für alle nachfolgenden Prüfungen herangezogen werden. Das Sonargramm jedes neuen Prüflaufs kann in Echtzeit mit dem Referenzmodell verglichen werden und aus den Abweichungen erhalten die Produktionsexperten von der KI wertvolle Erkenntnisse.
Mit dem algorithmischen Ansatz kann die End-of-Line Prüfung auch bisher unbekannte Fehler aufspüren. Die KI-basierte Verarbeitung der Prüfdaten ermöglicht das Training von Klassifikationsalgorithmen, die auftretende Fehler in fehlerhaften Bauteilen präzise beurteilen können. Laut Herrn Dr. Thewes liegt in dieser automatisierten Klassifizierung enormes Potenzial der Lösung. Bisher mussten Produktexperten aufwendig jeden fehlerhaften Prüfling mit seinen Daten begutachten, um die Fehlerursache zu identifizieren. Nun kann ein KI-System in immer mehr Fällen diese Klassifizierung vollautomatisch, rund um die Uhr übernehmen. Bereits ein Drittel der Klassifizierungen erfolgt eigenständig und korrekt durch den Algorithmus, mit steigender Tendenz. Durch die KI-Anwendung wird hochqualifiziertes Personal entlastet und kann sich auf die eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Zudem beschleunigt sich die Produktoptimierung, da aus den fehlerhaften Fällen gezielte Anhaltspunkte für eine verbesserte Produktionsqualität abgeleitet werden können.
© Foto: ZF Test Systems, Simone Fuchs – Product Manager Advanced Analytics
Die produzierenden ZF-Einheiten sind von der Herangehensweise und dem Produkt der Konzerntochter ZF Test Systems so überzeugt, dass „wAIveGuard“ demnächst in mehreren Werken eingesetzt werden soll. Und das nicht nur in der Division Elektrifizierte Antriebstechnologien sondern auch in der Division Industrietechnik, konkret in den Windkraft-Getriebewerken in Lommel (Belgien) und Tianjin (China).
„Mit der Ausrollung von 'wAIveGuard' werden wir weitere Erfahrungen sammeln und vor allem weitere Daten, den entscheidenden Treibstoff hinter jeder KI-Lösung.“ Dr. Nicolas Thewes - Chief AI Engineer bei ZF
Das Know-how, Hardware für Testing und Validierung zu entwickeln und zu konstruieren, ist seit mehr als 35 Jahren in der ZF Test Systems zusammengefasst, einer eigenen Sparte innerhalb des ZF-Konzerns. Mit Standorten in Europa, Asien und Amerika baut ZF Test Systems Prüfstände für unterschiedliche Branchen – auch außerhalb der Automotive-Welt und für externe Kunden.
1.800 Prüfsysteme hat ZF Test Systems in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut und weltweit ausgeliefert – neben End-of-Line-Prüfständen auch sehr komplexe Anlagen für Forschungs- und Entwicklungszwecke. Ganz gleich, ob es um eine neue Reifenmischung, um Batterien oder um die elektromagnetische Verträglichkeit einer E-Maschine geht – Prüfstände von ZF Test Systems sind meist involviert, wenn eine Innovation das Licht der industriellen Welt erblickt.
Die Meta-Level Software AG ist langjähriger Softwarepartner großer Industrieunternehmen. Meta-Level begleitet ihre Kunden auf dem Weg zur Smart Factory mit individuellen und standardisierten Softwarelösungen und Services, die weltweit Einsatz finden. Auswertung und Visualisierung von Daten, Tracking und Tracing von Produkten und Werkzeugen, Steuerung von Prozessen, Qualitätssicherung, MES-Systeme und vieles mehr gehören zu den täglichen Aufgaben des Unternehmens.
TATOO 4 entstand in Zusammenarbeit mit der ZF Friedrichshafen AG. Das Know-how von ZF in der mechanischen Konstruktion und Qualitätskontrolle wurde mit der langjährigen Erfahrung von Meta-Level in der Softwareentwicklung kombiniert. Das Ergebnis ist ein perfekt auf die Fertigungsindustrie zugeschnittenes Produkt, das auf dem neuesten Stand der Softwareentwicklung basiert.
In einem weiteren Tätigkeitsfeld entwickelt und vermarktet Meta-Level mit der AAS Suite eine Plattform für Asset Administration Shells (AAS) mit Designer, Marktplatz und weiteren Tools zum einfachen und schnellen Erstellen, Befüllen, Bearbeiten, Validieren und Publizieren von Asset Administration Shells.
Quelle und weiterführende Infos zum Thema: TATOO 4 - End-of-Line Platform und KI in Aktion: Das Potential der Prüfdaten von Andreas Neemann